Festigkeitsanalyse eines mikromechanischen Beschleunigungssensors mittels bruchmechanischer Ansätze


Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, Halle

1. Einführung / Introduction

Beschleunigungssensoren für die Airbagauslösung werden heute weitgehend mit Verfahren der Si-Mikromechanik produziert: Abb. 1 zeigt ein REM-Bild des TEMIC-Sensors hergestellt mit Verfahren der Volumen-Mikromechanik aus einkristallinem Si.

Today, the production of acceleration sensors for automotive airbag systems is increasingly based on Si micromechanics. Figure 1 shows a SEM image of the TEMIC sensor fabricated from single crystal silicon using bulk micromachining technologies.

Abbildung 1: REM-Abbildung des mikromechanischen TEMIC-Sensors (ohne Deckwafer)

Fig. 1: SEM image of the TEMIC micromechanical acceleration sensor (without bonded cap wafer)

Die Schlüsselkomponente besteht aus einem seismischen Massestück, das federnd an einem Rahmen aufgehängt ist. Die Beschleunigung führt zu einer Auslenkung und einer Biegeverformung in der Aufhängung. Die resultierende Dehnung wird mit Hilfe von piezoresistiven Schichten in ein elektrisches Signal umgewandelt, das ein Maß der wirkenden Beschleunigung darstellt. Ziel der Untersuchung ist eine Analyse der Festigkeit und Zuverlässigkeit.

The key element of the sensor consists of a seismic mass element which is suspended on a frame. The acceleration of the sensor leads to a displacement of the mass resulting in a bending deformation of the suspension element. The induced bending strain is recorded by piezoresistive films providing an electrical signal which is related to the acceleration intensity. The aim of the presented investigation was to analyse the strength and reliability properties of the sensor.

2. Bruchmechanische Charakterisierung / Fracture Mechanical Characterisation

Die Untersuchungen zeigten, dass die Festigkeit des Systems weitgehend von lokalen Spannungskonzentrationen an verschiedenen Stellen der Aufhängung abhängt.

The investigations revealed that the strength of the system is mainly controlled by local stress concentrations occurring at different spots of the suspension element during bending.

Abbildung 2: Seitenansicht der seismischen Masse im FEM-Modell bei Aufwärtsbiegung

Fig. 2: Side view of the 3D Finite Element model of the seismic mass bent upwards.

Im Falle der Aufwärtsbiegung (Abb. 2) wird die Festigkeit kontrolliert durch lokale Spannungskonzentrationen an den Kerben, die in Folge der anisotropen Ätzprozesse an der Unterseite der Federelemente erzeugt wurden (Abb. 4). Für die Festigkeitsanalyse muss ein spezielles Konzept auf Basis der Kerbbruchmechanik eingesetzt werden. Versagen setzt ein, wenn der Kerbspannungsintensitätsfaktor A(I) größer ist als die Kerbbruchzähigkeit A(IC) des Si.

If the seismic mass element moves upwards (Fig. 2), the strength is controlled by the local stress concentration at the notches induced by anisotropic wet etching at the lower side of the suspension (Fig. 4). For strength analysis, a notch stress intensity factor concept must be applied. The sensor fails if the notch tip stress intensity factor A(I) is larger than the notch fracture toughness A(IC) of Si.

Abbildung 3: FEM-Netz in der Nähe der Kerbe (links) und Spannungsfeld an der Kerbspitze (rechts)

Fig. 3: Used finite element mesh in the vicinity of the notch (left) and the stress field at the notch tip during loading (right).

A(I) wurde aus numerischen Simulationen (FEM, Abb. 4) bestimmt, während A(IC) in Mikrobiegeversuchen unter Verwendung eines Mikrohärtetesters an speziellen Si-Proben mit scharfen Kerben ermittelt wurde.

A(I) was derived from numerical simulations (FEM, Fig. 4) while A(IC) could be determined by micro bending investigations on notched Si specimens using an indentation testing device.

Abbildung 4: Seitenansicht der seismischen Masse im FEM-Modell bei Biegung nach unten

Fig. 4: Side view of the 3D Finite Element model of the seismic mass bent downwards.

Abbildung 5: Lage der Passivierungskante im Vergleich von zwei unterschiedlichen Sensorlayouts

Fig. 5: Position of the passivation layer in comparison of two different sensor layouts.

Wenn die seismische Masse nach unten gebogen wird (Abb. 3), treten lokale Spannungskonzentrationen in der durch Lithographie-, Beschichtungs- und Ätzschritte mikrostrukturierten Oberseite des Federelementes auf. Diese stehen im Zusammenhang mit Kanten in den Beschichtungen und den unterschiedlichen elastischen Eigenschaften der Passivierungsschicht und des Si-Substrates (Abb. 5).
Für die Festigkeitsanalyse wurde ein modifiziertes Spannungskriterium, abgeleitet aus der Theorie von Neuber, eingesetzt. Das Bauteil versagt, wenn die Neuber-Spannung an der Passivierungskante größer wird als ein zugehöriger kritischer Wert.
Zur Bestimmung der Neuber-Spannung wurden FEM-Simulationen eingesetzt, die kritische Spannung wurde aus Mikrobiegeversuchen experimentell ermittelt.

If the seismic mass element is bent downwards (Fig. 3), local stress concentrations occur in the patterned top surface of the suspension due to the edges (Fig. 5) and the different elastic properties of passivation films and Si substrate. For strength analysis, a stress criterion based on Neuber's theory was used. The material fails if the Neuber-stress at the passivation layer edge is larger than a critical stress. FEM simulations were applied to calculate the Neuber-stress while the critical stress was derived from micro bending investigations.

Abbildung 6: Eigenform der seismischen Masse

Fig. 6: Eigenmode of seismic mass

3. Ergebnisse / Results

Die Resultate der experimentellen Festigkeitsmessungen (dargestellt in Form einer kritischen Verschiebung bei Biegung) stimmen gut mit der theoretischen Vorhersage auf Basis des Kerbspannungsintensitätskonzeptes überein (Abb. 8). Ein Unterschied bezüglich der unterschiedlichen Sensorlayouts in Abb. 7 ist nicht zu beobachten.

The experimental strength tests results (represented by the critical bending displacement) agree very well with the theoretical prediction based on the notch fracture toughness concept (Fig. 8). There is no difference with respect to the different layouts shown in Fig. 7.

Abbildung 7: Experimentelle Resultate bei Biegung nach oben von zwei unterschiedlichen Sensorlayout-Varianten (Abb. 5) verglichen a) mit der theoretischen Vorhersage und b) mit der im Einsatz möglichen maximalen Auslenkung

Fig. 7: Experimental results of bending experiments (upwards) of different sensor layouts (Fig. 5) compared with the theoretical prediction and possible displacement during application.

Die Untersuchungen bei Biegung nach unten zeigten, dass sowohl der Ort der Rissbildung (Abb. 5) und die Festigkeitswerte abhängig sind vom Sensorlayout (Abb. 7). Die Messergebnisse stimmen gut mit der Vorhersage auf der Basis des Neuber-Spannungskriteriums überein (Abb. 7).

The investigations revealed that both the location of crack initiation (Fig. 5) and the strength (Fig. 7) depend on the sensor layout. The experimental results agree very well with the theoretical prediction based on the Neuber-stress concept (Fig. 7).

Abbildung 8: Experimentelle Resultate bei Biegung nach unten von zwei unterschiedlichen Sensorlayout-Varianten (Abb. 5) verglichen a) mit der theoretischen Vorhersage und b) mit der im Einsatz möglichen maximalen Auslenkung

Fig. 8: Experimental results of bending experiments (downwards) of different sensor layouts (Fig. 5) compared with the theoretical prediction and possible displacement during application.

Nach dem vollständigen Aufbau des Sensors unter Einsatz eines Deckwafers ist die maximale Auslenkung der seismischen Masse auf 10 m nach oben und unten begrenzt. Aus den Ergebnissen in den Abb. 6 und 7 lässt sich erkennen, dass diese maximalen Auslenkungen nur etwa 10-15% des kritischen Wertes darstellen, insbesondere im Falle des Layouts #1.

After the final assembly with a cap wafer, the sensor layout allows a maximum displacement of the seismic mass of 10 m both for upward and downward bending. It can be seen from Figs. 6 and 7 that the maximum displacement corresponds to only 10-15% of the critical value, in particular in case of layout #1.

4. Schlussfolgerungen / Conclusions

Die Verwendung geeigneter bruchmechanischer Konzepte erlaubt eine Analyse der Festigkeit von mikromechanischen Komponenten, die beim Sensordesign genutzt werden kann, um das Layout hinsichtlich der Festigkeit und Zuverlässigkeit im Einsatz zu optimieren. Aus Sicht der theoretischen Untersuchungen und der experimentellen Resultate kann eine hohe mechanische Zuverlässigkeit für den untersuchten Airbagsensor erwartet werden.
Die Serienproduktion des Airbagsensors mit 10 Millionen Stück im Jahr wurde 1999 erfolgreich gestartet.

Using appropriate fracture mechanical concepts, a consideration of the strength of micromechanical components during the sensor design stage is possible which can be applied for a layout and reliability optimisation. From both theoretical consideration and experimental resuls, a high mechanical reliability of the investigated airbag sensor during application can be expected.
In 1999, the high-volume manufacturing of the airbag sensor with about 10 Million units per year was successfully started.