Sicherheitsbewertung von Schweißverbindungen im ARIANE 5 Boostergehäuse


Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, Freiburg

1. Problem

Zur Reduzierung des Gewichts und zur Senkung der Herstellungskosten des ARIANE 5 Boostergehäuses sollen die derzeitigen Scherbolzen-Verbindungen durch Schweißverbindungen ersetzt werden. Zum Nachweis der Sicherheit von elektronenstrahlgeschweißten Verbindungen im Boostergehäuse wurden im IWM im Auftrag der Firma MAN Technologie experimentelle und theoretisch-numerische Untersuchungen durchgeführt.

Abbildung 1: ARIANE 5 beim Starten (Bild: ESA)

Abbildung 2: Berstbehälter mit Innenriss in der Schweißverbindung nach dem Berstversuch (Bild: MAN)

2. Zonenspezifische Werkstoffcharakterisierung

Die mechanischen und bruchmechanischen Kennwerte verschiedener Werkstoffbereiche (Abb. 3) der elektronenstrahlgeschweißten Verbindungen wurden durch Zugversuche an Kleinzugproben und Mechanikversuche an unterschiedlichen Proben mit verschiedenen Fehlergeometrien durchgeführt. Die Versuche zeigen, dass das Schweißgut und einige Wärmeeinflußzonen in den Schweißverbindungen spröde versagen können, während der Grundwerkstoff (48CrMoNiV 4-10) duktiles Verhalten aufweisst.

Abbildung 3: Querschliff der Elektronenstrahlschweißnaht mit Kennzeichnungen für unterschiedliche Werkstoffzonen

3. Globale und lokale Versagenskonzepte

- J(c)-T-Kriterium (1) für den Sprödbruch; T: Mehrachsigkeit

- RKR-Modell (1) als Alternative für den Sprödbruch

- Gurson-Modell (1) für den duktilen Bruch

- Weibullkonzept (1) für statistische Auswertungen

- Rechenprozeduren SINTAP (1) für analytische Bewertungen

(1) Erläuterung der Modelle siehe Ende des Berichts

4. Simulation und Bewertung der Berstversuche

Zur Verifizierung der verwendeten Versagenskonzepte wurden zwei bei MAN Technologie durchgeführte Berstversuche (Abb. 2) numerisch simuliert und mit verschiedenen Bruchkriterien bewertet. Zur Reduzierung des numerischen Aufwands wurde ein Verfahren zur Kombination eines globalen Modells mit einem lokalen Modell eingesetzt (Abb. 4).

Abbildung 4: Globales Finite Elemente Modell für eine Hälfte eines Berstbehälters mit Konturplot der Vergleichsspannung

Abbildung 5: lokales Finite Elemente Modell für den Bereich der Schweißverbindung mit Oberflächenriss

Vergleich der Experimente mit den Vorhersagen der verschiedenen Konzepte:

 
Berstbehaelter Experiment Berstdruck FE-Rechnung RKR-Modell FE-Rechnung J(c)T-Konzept Analytik R6-Methode
mit Oberflächenriss 100 MPa 95 MPa 90 MPa 99 MPa
mit Innenriss 93 MPa 78 MPa 81 MPa 79 MPa

5. Zusammenfassung

Zur Bewertung der Tragfähigkeit des geschweißten Boostergehäuses wurden mechanische und bruchmechanische Kennwerte von unterschiedlichen Werkstoffbereichen in den Schweißverbindungen durch verschiedene Versuche charakterisiert. Zur Übertragung dieser Kennwerte auf Bauteilverhalten wurden globale, lokale und statistische Versagenskonzepte verwendet. Diese Bewertungsmethode von Schweißverbindungen wurde durch Berstversuche verifiziert.

6. Erläuterungen der Versagensmodelle

J(c)-T-Kriterium

Charakterisiert das Bruchverhalten eines Werkstoffs durch ein Zwei-Parameter-Konzept für verschiedene Belastungssituationen. Bestimmung der Beziehung zwischen den kritischen J-Werten J(c) aus unterschiedlichen Bruchmechanikexperimenten und der entsprechenden Mehrachsigkeit T (definiert als Verhältnis der Mittelspannung zur Vergleichsspannung). Die maximale Beanspruchung eines rissbehafteten Bauteils läßt sich somit durch Berechnung der Mehrachsigkeit bestimmen.

RKR-Modell

Von den Autoren Ritchie, Knott und Rice vorgeschlagenes Modell für sprödes Materialversagen, das von der Annahme ausgeht, dass Sprödbruch dann eintritt, wenn eine kritische Normalspannung (sog. Spaltbruchspannung) über eine kritische Länge (mind. 2 Korndurchmesser) überschritten wird.

Gurson-Modell

Kontinuumsmechanisches Modell, das die einzelnen Phasen der duktilen Schädigung, wie Hohlraumbildung, Hohlraumwachstum und Hohlraumvereinigung, auf einer sog. Mesoebene, d.h. auf einer Größenskala << Bauteil und >> Mikrostruktur, beschreibt. Es gilt für monoton zunehmende Belastung ohne Kriecherscheinungen.

Weibullkonzept

Konzept, das die statistische Natur von sprödem Versagen von Werkstoffen, z.B. ferritischer Staehle im spröd/duktilen Übergangsbereich beschreibt. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass das Bruchereignis durch Versagen eines sog. schwächsten Gliedes (weakest link) der Struktur bestimmt wird. Dies sind in der Regel Mikrorisse, die i.a. während der Belastung entstehen und sich instabil ausbreiten und damit zum Strukturversagen führen können.

SINTAP

Rechenprozedur mit unterschiedlichen Komplexitätsstufen zur analytischen Bewertung von Fehlern in Bauteilen, auch Schweißverbindungen. Ermöglicht eine schnelle ingenieurmäßige Fehlerbewertung ohne aufwändige Finite Element Analysen. Formelwerk basiert allerdings größtenteils auf Finite Element Analysen und Experimenten an fehlerbehafteten Strukturen.