Das Simultanverfahren - eine Methode zur Beschleunigung und Optimierung mehraxialer Betriebsfestigkeitsversuche


Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, Darmstadt

1. Das Problem

Experimentelle Untersuchungen des Ermüdungsverhaltens von Bauteilen und Strukturen erfordern zunehmend mehraxiale Betriebsfestigkeitsversuche. Steuersignale für betriebsähnliche mehraxiale Betriebsfestigkeitsversuche werden in der Regel aus Betriebsmessungen entnommen. Realzeit-Versuche mit gemessenen Belastungs-Zeitfunktionen sind allerdings oft schwer zu realisieren, benötigen viel Zeit und verursachen hohe Kosten. Daher ist die schädigungsneutrale Verkürzung und Optimierung der Steuersignale ein wichtiges Anliegen.

2. Die Lösung

Für Betriebsfestigkeitsversuche mit hinreichend steifen Prüfständen und Bauteilen (Baugruppen) bietet das SIMULTANVERFAHREN eine Lösung zur Beschleunigung mehraxialer Steuersignale mit ähnlicher Effektivität wie die bekannten Methoden für einaxiale Versuche. Die Verkürzung erfolgt durch Weglassen kleiner, nicht schädigungsrelevanter Schwingspiele sowie die Optimierung der Zeitfunktionen im Rahmen der Prüfstandskapazitäten. Bei der mehraxialen Anwendung werden die folgenden Probleme durch das SIMULTANVERFAHREN gelöst: 1) Die Bestimmung eines "Schwingspiels" und die Frage, ob es schädigungsrelevant ist oder nicht, kann nur durch Berücksichtigung aller gleichzeitig wirkenden Belastungen und der resultierenden örtlichen Strukturbeanspruchungen entschieden werden. 2) Jede Veränderung des Zeitverlaufs in einem einzelnen Belastungskanal erfordert entsprechende Änderungen in allen anderen Kanälen wegen der vorhandenen Korrelationen (Phasenbeziehungen). 3) Die verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen sollen so beschaffen sein, daß die Kapazitäten des Prüfstands während des gesamten Versuchs so weit wie möglich ausgenutzt, die gegebenen Grenzwerte (Frequenz, Geschwindigkeit, Beschleunigung) aber niemals überschritten werden. Das SIMULTANVERFAHREN wurde im Rahmen zahlreicher mehraxialer Betriebsfestigkeitsversuche bis zu 12 Kanälen angewandt. Hierbei wurden die folgenden Erfahrungen gemacht: a) Eine erhebliche Versuchzeitreduzierung ist erreichbar (siehe das Beispiel unten). Der Reduzierungsfaktor hängt natürlich von der ursprünglichen Dichte der Belastungs-Zeitfunktionen und den Grenzen der Versuchseinrichtung ab. b) Die Ermüdungs-Lebensdauer und die Rißlagen in Versuchen mit originären und verkürzten Steuersignalen sind identisch. c) Die kontinuierliche Ausnutzung der Prüfstandskapazitäten wird gewährleistet und darüber hinaus eine verbesserte Genauigkeit wegen der Beschränkung kritischer Frequenzanteile und Laständerungen erreicht. Weitere Einzelheiten sind im folgenden Anwendungsbeispiel gezeigt.

3. Ein Beispiel

Das Anwendungsbeispiel basiert auf einer Betriebsmessung von fünf Last-Zeitfunktionen (Kanal 1 bis 5, ca. 2000 Sekunden). Die Dichte der gemessenen Belastungen ist recht hoch, herkömmliche Verkürzungsmethoden versagen (z.B. Herausnehmen von Zeitabschnitten).

Abbildung 1: Gemessene Belastungs-Zeitfunktionen (Realzeit)

Die Kapazitätsgrenzen von Prüfständen sind durch Grenzen für die Frequenz, die Geschwindigkeit und Beschleunigung gegeben (neben dem Lastniveau bzw. dem Zylinderweg, die aber bei Anwendung des SIMULTANVERFAHRENS unverändert bleiben). Die Zeitfunktionen der ersten Ableitungen (Geschwindigkeits- proportional) zeigen einen breiten Streubereich mit hohen Maxima, entsprechend einer schwankenden Ausnutzung des Prüfstands in Realzeit-Versuchen. Das Ziel der Optimierung muß sein, die ersten (und zweiten) Ableitungen zu egalisieren.

Abbildung 2: 1. Ableitungen der gemessenen Belastungs-Zeitfunktionen

Die Frequenzverteilungen (Spektrale Leistungsdichten) der gemessenen Last-Zeitfunktionen zeigen bestimmte Eigenschaften und eine Frequenzgrenze von ca. 25 Hz. Das Ziel der Optimierung ist es, eine gegebene Grenze einzuhalten (z.B. ebenfalls 25 Hz) und die Dichte so nah wie möglich an dieser Grenze anzuheben.

Abbildung 3: Spektrale Leistungsdichten der gemessenen Belastungs-Zeitfunktionen

Die relevanten Korrelationen (Phasenbeziehungen) zwischen den einzelnen Belastungen müssen, wegen der gleichzeitigen Einwirkung auf örtliche Beanspruchungen, bei der Verkürzung erhalten bleiben. Ein Beispiel für die gemessenen Belastungen (Kanäle 2 und 3) ist als Ortskurve unten dargestellt.

Abbildung 4: Ortskurve der gemessenen Belastungs-Zeitfunktionen (Beispiel: Kanal 2, Kanal 3)

Der wesentliche Verkürzungseffekt wird durch Weglassen kleiner Schwingspiele (Omission), die nicht zur Schädigung beitragen, erreicht. Die Omissiongrenze hängt ab vom Material des Bauteils, den Umgebungsbedingungen, den Mittelwerten der einzelnen Schwingspiele usw., und ihre Wahl sollte aufgrund von Erfahrungen und den jeweils neuesten Forschungsergebnissen getroffen werden. Im Beispiel sind die Bereichspaarverteilungen der gemessenen Belastungen dargestellt, die die Größe und Häufigkeit der Schwingspiele sehr anschaulich zeigen. In diesem Fall wurde die Omissiongrenze auf unter 30% der Dauerfestigkeit des betreffenden Materials festgelegt, abnehmend mit wachsenden Mittelwerten, entsprechend der Mittelspannungsempfindlichkeit des Werkstoffs.

Abbildung 5: Bereichspaarverteilungen der gemessenen Belastungs-Zeitfunktionen

Die Ergebnisse der Anwendung des SIMULTANVERFAHRENS sind in den folgenden Diagrammen dargestellt, die unmittelbar mit den zuvor gezeigten vergleichbar sind. Die schädigungsneutral verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen, die als Ansteuersignale für mehraxiale Betriebsfestigkeitsversuche verwendet werden, betragen nur noch ca. 300 Sekunden; der Verkürzungsfaktor ist also 6,7 in diesem Beispiel.

Abbildung 6: Schädigungsneutral und Prüfstands-optimiert verkürzte Belastungs-Zeitfunktionen

Dieses Ergebnis wurde erreicht, obwohl die Grenzen für die maximale Geschwindigkeit (1. Ableitung) deutlich unterhalb der gemessenen max. Geschwindigkeiten gewählt wurden. Das gleiche gilt für die 2. Ableitungen (Beschleunigung). Die verkürzten Zeitfunktionen sind somit leichter im Prüfstand zu realisieren (höhere Genauigkeit).

Abbildung 7: 1. Ableitungen der verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen

Die Signalfrequenzen der verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen sind innerhalb der gewählten Grenzen; die Dichte ist, wie gewünscht, beträchtlich höher als bei den gemessenen Signalen.

Abbildung 8: Spektrale Leistungsdichten der verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen

Die relevanten Phasenbeziehungen (Korrelationen) zwischen den einzelnen Belastungs-Zeitfunktionen bleiben erhalten. Im beschleunigten Versuch werden die korrekten örtlichen Bauteilbeanspruchungen erzeugt.

Abbildung 9: Ortskurve der verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen (Beispiel: Kanal 2, Kanal 3)

Die Häufigkeitsverteilungen bleiben oberhalb der Omission-Grenze unverändert. Dies gilt nicht nur für die gezeigten Bereichspaar- Verteilungen (die leicht zu vergleichen sind) sondern auch für die Rainflow-Matrizen - und nicht nur für die Steuersignale sondern auch für die örtlichen Bauteilspannungen bzw. -dehnungen.

Abbildung 10: Bereichspaarverteilungen der verkürzten Belastungs-Zeitfunktionen

4. Literaturauswahl zum SIMULTANVERFAHREN:

Klätschke,H.; Schütz,D.: "Das Simultanverfahren zur Extrapolation und Raffung von mehraxialen Belastungs-Zeitfunktionen für Schwingfestigkeitsversuche", In: Materialwissenschaft und Werkstofftechnik 8/95, S. 404-415

Bräker,K.F.; Hummel,R.; Schütz,D.; Klätschke,H.: "Versuchszeit- Reduzierung bei der mehraxialen Betriebslastensimulation durch das LBF-Simultanverfahren", In: Betriebsfestigkeit und Entwicklungszeitverkürzung. 23.Tagung des DVM-Arbeitskreises Betriebsfestigkeit, Köln, 22.-23.10.1997. Hrsg. Deutscher Verband für Materialforschung und -prüfung, Berlin. DVM-Bericht 123 (1997), S.191-205