Lebensdauer von Glocken


Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, Darmstadt

1. Problemstellung

Auch Kirchenglocken können im Laufe der Zeit ermüden und dadurch Schäden erleiden. Andererseits soll deren Funktionsfähigkeit als wichtige Kulturgüter möglichst über Jahrhunderte erhalten bleiben, so dass gegebenenfalls Maßnahmen zur Verlängerung der (Rest-) Lebensdauer der Glocken erforderlich sind. Aus diesem Grunde untersuchte das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit LBF im Auftrag des Vereins Deutscher Gießereifachleute (VDG) die Beanspruchungen von Glocken während des Läutens experimentell und mit Hilfe numerischer Simulation unter dem Einfluß von Parametern wie z. B. Klöppelform, Läutwinkel und Umgebungstemperatur. Untersuchungen der Festigkeitseigenschaften, Schädigungsmechanismen und Reparaturmöglichkeiten schlossen sich an.

2. Lösungsweg

Die Entscheidung für bestimmte Maßnahmen zur Verlängerung der (Rest-) Lebensdauer von Glocken kann zuverlässig nur auf der Basis von experimentellen und numerischen Untersuchungen erfolgen. Solche Untersuchungen müssen die Beanspruchungen während des Läutens zum Gegenstand haben und jene Faktoren beschreiben und bewerten, die die Beanspruchungen auslösen. Anschließend lassen sich Maßnahmen ableiten, die es gestatten, auch besonders wertvolle Glocken so lange wie möglich in Gebrauch zu behalten. Hierzu gehören vor allem Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen, zur frühzeitigen Entdeckung von Schäden, zur Verringerung der Ausbreitungsgeschwindigkeit bereits vorhandener Schäden und adäquate Reparaturmaßnahmen. In einer vom Verein Deutscher Gießereifachleute (VDG) unterstützten Untersuchung wurde mit einem theoretisch-experimentellen Ansatz die Beanaspruchbarkeit von Glockenbronze und die Beanspruchungen einer Glocke während des Läutens analysiert. Letztere wurden besonders im Hinblick auf die in der Literatur beschriebene Methode des Drehens bzw. des Umhängens von Glocken bewertet. Durch diese Maßnahme sollen "unverbrauchte (Klöppel-) Anschlagstellen" erhalten werden und damit die Gefahr des Zerspringens des Glockenkörpers verringert werden.

Schadensfälle an Glocken

Durch Befragung von Glockengießern und durch Auswertung neuerer Schadensfälle wurde ein qualitativer Überblick über die am häufigsten auftretenden Schäden an Glocken erhalten.

Untersuchungen an Proben aus Glockenbronze

An aus Glockenbruchstücken entnommenen Proben wurden metallographische Untersuchungen vorgenommen. Die Festigkeit gegenüber statischen und dynamischen Belastungen mit unterschiedlichen Graden von Vorschädigung wurde im Rahmen von sog. Wöhlerversuchen für Raumtemperaturen und bei Temperaturen von -20C bestimmt.

Messungen an Glocken

An einer von der Glockengießerei August Mark zur Verfügung gestellten Glocke und Glockenstuhl und in der Folge an weiteren Glocken (u.a. an der wohl bekanntesten Glocke der Welt, der Gloriosa) wurden Läuteversuche durchgeführt und die Beanspruchungen an zahlreichen Positionen aufgezeichnet. Bei Wiederholungsmessungen wurden mehrere Parametern variiert, wie z.B. Klöppelform, Klöppelgewicht und Läutwinkel.

Abbildung 1: Untersuchte Glocken: Gorgonius-Glocke, Gloriosa (1497), geschweißte Glocke von 1525

Berechnungen

Mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode wurden Berechnungen mit dem Ziel durchgeführt, Aussagen über die Beanspruchungen der Glocke machen zu können, auch an solchen Stellen, die der Messung nicht zugänglich, bzw. nicht durch Sensoren erfaßt waren. Die Glocke wurde mit 20-knotigen Volumenelementen ohne Ausnutzung von Symmetrien abgebildet; einen Eindruck von dem verwendeten Idealisierungsgrad liefern die nachfolgenden Animationen. Das Modell verfügt über insgesamt 22100 Freiheitsgrade und 1350 Elemente. Es wurde ein linear-elastisches Werkstoffgesetz mit einem E-Modul von 98.6 GPa und einer Querkontraktion von ny = 0.3 verwendet. Zu den Berechnungen gehörte die Ermittlung der Eigenfrequenzen und -formen und der Beanspruchungen im Zeitbereich infolge eines Klöppelschlages.

Eigenfrequenzen und -formen

Die Eigenfrequenzen und -formen zeigten eine sehr guteÜbereinstimmung mit den im Rahmen einer modalanalytischen Auswertung der Meßwerte erhaltenen Eigenfrequenzen und -formen, womit die Güte des rechnerischen Ersatzmodells nachgewiesen wurde.

Abbildung 2: Eigenform einer Glocke (Quinte bei 470 HZ)

Abbildung 3: Eigenform einer Glocke (Oberoktave bei 638 Hz)

Berechnungen im Zeitbereich

Bei einem Klöppelschlag handelt es sich im wesentlichen um ein Kontaktproblem, dessen Lösung ebenfalls mit dem hier verwendeten Rechenmodell möglich ist. Zur Beurteilung des sich bei einem Klöppelschlag von etwa 0,5 msec Dauer einstellenden 3-dimensionalen Spannungszustandes im Hinblick auf die Beanspruchung ist eine Festigkeitshypothese erforderlich: Von den drei gebräuchlichsten (Normalspannungs-, Schubspannungs- und Gestaltänderungsenergiehypothese (von-Mises)) wird die Normalspannungshypothese besonders bei spröden Werkstoffen für den Dauerbruch unter mehrachsiger dynamischer Beanspruchung verwendet. In der nachfolgenden Abbildung ist deshalb die zeitliche Variation (dt=0,05 sec) der maximalen Haupt-Normalspannung gezeigt. Hieraus geht hervor, daß die maximale Beanspruchung in der Berührfläche auftritt. Man kann verfolgen, in welcher Weise die Schockwelle transversal um die Glocke herumläuft: nach etwa 1,5 ms hat sie die dem Klöppelanschlagbereich gegenüberliegende Stelle erreicht und wiederholt hier (mit umgedrehtem Vorzeichen) in etwa den Verformungsablauf an der Klöppelanschlagstelle. In gleicher Weise erfolgt dann der Rücklauf. Auch die Zeitverlaufsrechnungen der Dehnungen bzw. Spannungen zeigten - allerdings nur für eine relativ kurze Zeitspanne - eine gute Übereinstimmung mit den berechneten Werten.

Abbildung 4: Schockwelle eines Klöppelschlages

3. Berechnungsmodell

Die numerische Simulation zur Ermittlung der Eigenfrequenzen und -formen sowie der Beanspruchungen im Zeitbereich infolge eines Klöppelschlages wird mit Hilfe der Finite-Element Methode durchgeführt. Die Glocke wird mit 20-knotigen Volumenelementen ohne Ausnutzung von Symmetrien abgebildet; einen Eindruck von dem verwendeten Idealisierungsgrad liefert die nachfolgende Abbildung. Das Modell verfügt insgesamt 22100 Freiheitsgrade und 1350 Elemente. Es wurde ein linear-elastisches Werkstoffgesetz mit E-Modul E = 98.600 MPa und Querkontraktion von ny = 0.3 verwendet.

Abbildung 5: Finite-Elemente Netz und typische Schäden der Glocke

4. Berechnungsergebnisse

Die Eigenfrequenzen und -formen sind ein wichtiges Hilfsmittel für die Modellverifikation. Da in dieser Untersuchung die Eigenfrequenzen auch experimentell ermittelt wurden, konnte so unmittelbar die Güte des Rechenmodells kontrolliert werden.

Abbildung 6: Eigenform einer Glocke (Quinte bei 470 HZ)

5. Ergebnisse

- Die Schädigung einer Glocke durch die normalen Läutvorgänge kann bei sonst gleich gehaltenen Parametern durch Drehen der Glocke in größeren Zeitabständen um Vielfache von etwa 30 auf etwa 1/3 reduziert werden.

- Die untersuchten Klöppelformen haben im Ergebnis nur einen geringen Einfluß auf die Beanspruchungen der Glocke im Bereich der Anschlagstelle.

- Das Klöppelgewicht hat ebenfalls nur einen geringen Einfluß auf die Schädigung.

- Der Läutwinkel hat bei weitem den größten Einfluß auf die Schädigung: eine Erhöhung des Läutwinkels um 1 Grad erhöht die Schädigung etwa um den Faktor 1.14.

- Die Lebensdauer von Probekörpern aus Glockenbronze, die Beanspruchungen in Einstufenversuchen ausgesetzt sind, streut sehr stark. Die Streuung ist so groß, daß die untersuchten Parameter "Vorschädigung" und "Temperatur", sowie "Probenentnahmestelle" keinen signifikanten Einfluß auf die Lebensdauer der Proben hatten.

Abbildung 7: Eigenform einer Glocke (Oberoktave bei 638 Hz)

6. Simulation eines Klöppelschlages

Bei einem Klöppelschlag handelt es sich im wesentlichen um ein Kontaktproblem, dessen Lösung ebenfalls mit dem hier verwendeten Rechenmodell möglich ist. Zur Beurteilung des sich bei einem Klöppelschlag von etwa 0,5 msec Dauer einstellenden 3-dimensionalen Spannungszustandes im Hinblick auf die Beanspruchung ist eine Festigkeitshypothese erforderlich: Von den drei gebräuchlichsten (Normalspannungs-, Schubspannungs- und Gestaltänderungsenergiehypothese (von-Mises)) wird die Normalspannungshypothese besonders bei spröden Werkstoffen für den Dauerbruch unter mehrachsiger dynamischer Beanspruchung verwendet. In der nachfolgenden Abbildung ist deshalb die zeitliche Variation (dt=0,05 sec) der maximalen Haupt-Normalspannung gezeigt. Hieraus geht hervor, daß die maximale Beanspruchung in der Berührfläche auftritt . Man kann verfolgen, in welcher Weise die Schockwelle transversal um die Glocke herumläuft: nach etwa 1,5 ms hat sie die dem Klöppelanschlagbereich gegenüberliegende Stelle erreicht und wiederholt hier (mit umgedrehtem Vorzeichen) in etwa den Verformungsablauf an der Klöppelanschlagstelle. In gleicher Weise erfolgt dann der Rücklauf.