Einsatzbezogene Weiterentwicklung von hochfesten umgeformten Stahlblechstrukturen


Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, Darmstadt

1. Einleitung

Die Notwendigkeit zum konsequenten Leichtbau in Fahrzeugbau bedingt auch die fortschreitende Optimierung der Dünnblechkonstruktion der Karosserie. Neben der Einführung verbesserter Fügetechnologien führen durch neue Konzepte auch neue Umformtechnologien zu leichteren Bauteilen mit höherfesten Stählen bei dünnerer Blechstärke. Gleichzeitig erlauben die modernen CAE-Methoden eine genauere Auslegung, wozu jedoch die erforderlichen Daten zu den Belastungen im Betrieb und zu den tatsächlichen Beanspruchbarkeiten der Konstruktion aus Messungen und Versuchen bereitgestellt werden müssen.

Umgeformte Blechkonstruktionen sind rechnerisch schwer zu beurteilen, da durch die Umformung Materialeigenschaften verändert, Eigenspannungen in die Bauteile eingebracht werden und die Blechdicken bereichsweise variieren. Gerade für den Einsatz höherfester Stähle sind daher eine zuverlässige Umformsimulation und die Daten über die Auswirkung für das bauteilbezogene Materialverhalten erforderlich.

Es ist das Ziel dieses noch laufenden Projektes notwendige, auf Bauteilkomponenten bezogene Daten für eine verläßlichere Auslegung und die ökonomische Produktion von niedrig- und hochfesten Stählen zu erzielen, um das Potential dieser Materialien für die Leichtgewichtskonstruktion auszunutzen. Am Ende steht das Ziel, eine Richtlinie für eine optimale Leichtgewichtskonstruktion zu erstellen, welche das Materialverhalten und den Verformungszustand mit berücksichtigt.

2. Beispiele von angewandten Strukturen

Komplizierte Dünnblechstrukturen mit hoher Festigkeit und Steifigkeit werden sowohl im Karosseriebereich in der Automobilindustrie, siehe Abbildung 1, als auch in umgeformten Massenprodukten mit höherer Blechdicke, zum Beispiel bei Stahlfelgen verwendet. Die Kontur der umgeformten Komponeneten führt zu Spannungsgradienten und kann zugleich in den hoch beanspruchten Bereichen zu einer Blechdickenreduktion und einer Ver- oder Entfestigung führen. Da das erzielte Materialverhalten von der Größe der Kaltverformung abhängt, welche durch lokales Dehnen bei dem Umformprozeß entsteht, ist der multiaxiale Kaltverformungszustand zusammen mit dem multiaxialen Spannungszustand ausschlaggebend für die Festigkeit und Betriebsfestigkeit solcher Komponenten.

Abbildung 1: Karosseriestruktur eines Automobiles

3. Schwingfestigkeitsversuche an Materialproben

Konstrukteure benötigen Daten über geeignete Materialien, um die benötigte Festigkeit und Steifigkeit der Dünnblechkonstruktionen sicherzustellen und um Entwicklungszeit und Entwicklungskosten zu reduzieren. Diese Daten erhält man durch dehnungsgesteuerte Versuche mit konstanter und variabler Dehnungsamplitude an ausgesuchten Materialproben.

Die experimentell bestimmten zyklischen Materialkennwerte sind notwendig zur Lebensdauerbestimmung nach dem lokalen Dehnungsansatz. Die notwendigen dehnungsgesteuerten Versuche werden mit Materialproben sowohl im unvorgedehnten, als auch im vorgedehnten Zustand durchgeführt. Die Versuchsergebnisse werden in Form von Wöhler- und Gaßnerkurven sowie Spannungs-Dehnungskurven ausgewertet. Beispiele für Wöhler- und Gaßnerkurven sind in Abbildung 2 dargestellt, wobei die violett hervorgehobenen Versuchspunkte von den parallel durchgeführten Schwingfestigkeitsversuchen an bauteilähnlichen Doppelhutprofilproben gleichen Materials stammen. Beispiele für Spannungs-Dehnungskurven sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 2: Ergebnisse von dehnungsgesteuerten Schwingfestigkeitsversuchen verschieden vorgedehnter Materialproben

Abbildung 3: Spannungs-Dehnungskurven für verschieden vorgedehnte Materialproben

4. Bewertung von bauteilähnlichen Proben

Die Doppelhutprofilprobe mit Sicken, die in Abbildung 4 dargestellt wird, ist ein idealisiertes Bauteil an dem der Umformprozeß, der Spannungszustand und der Versagensmechanismus wie bei einem realen Bauteil systematisch untersucht werden kann. Mittels verschiedener Radien in den Sicken können definierte multiaxiale Umformgrade erreicht werden. Die numerische Umformsimulation dient zur Bestimmung der Umformgrade und der Blechdickenverteilung; sie wird durch experimentelle Verformungsanalysen verifiziert. Weiterhin können die Einflüsse der verschiedenen Umformverfahren bewertet und in die Verwendung der Versuchsergebnisse mit einbezogen werden.

Abbildung 4: Gesickte Doppelhutprofilprobe

Die Bestimmung der Spannungszustände und Spannungsgradienten in der Hutprofilprobe unter Versuchsbelastungen erfolgt durch eine Finite-Elemente Spannungsanalyse. Um die Ergebnisse der numerischen Simulation mittels der Finite-Elemente Spannungsanalyse vergleichen und bewerten zu können, werden Dehnungsmessstreifen auf die Sicken appliziert und die Dehnung im Versuch bei der jeweiligen Belastungsart und Belastungsgröße am Bauteil gemessen. Die Messungen erfolgen während den Schwingfestigkeitsversuchen sowohl statisch als auch dynamisch. In Abbildung 5 ist die aufgrund der numerischen Ergebnisse gewählte Anordnung der Dehnungsmessstreifen zu erkennen.

Abbildung 5: An der Sicke applizierte Dehnungsmessstreifen

5. Finite-Elemente Spannungsanalyse

An den gesickten Doppelhutprofilproben wurden für die verschiedenen, in den Versuchen aufgebrachten Belastungszustände, Finite-Elemente Spannungsanalysen durchgeführt. Diese zeigen deutlich die multiaxialen Spannungszustände an den kritischen Zonen der Sicken. Die mit dem, durch einen Zugversuch ermittelten Elastizitätsmodul, errechneten Dehnungen stimmen sehr gut mit den gemessenen Dehnungen überein. Abbildung 6 und Abbildung 7 zeigen die Verteilung der ersten Hauptspannung in den lokalen Elementkoordinaten bei Torsions- und Biegebelastung.

Abbildung 6: Hauptspannungsverteilung unter Torsionsbelastung

Abbildung 7: Hauptspannungsverteilung unter Biegebelastung

Die Animation zeigt die schwingende Doppelhutprobe unter Torsionsbelastung, wobei die weitestgehend spannungsfreien Zonen an den Enden die Probeneinspannung im Versuch simulieren.

Abbildung 8: Schwingende Doppelhutprofilprobe unter Torsionsbelastung