Auslegungskonzept neuer Getriebekomponenten


Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, Darmstadt

1. Problemstellung

Die Einführung neuer Werkstoffe und Fertigungstechnologien für Getriebekomponenten verlangt zuverlässige Auslegungsmethoden, Betriebsdaten und Werkstoffkennwerte, um den hohen Anforderungen an die Leichtbaukomponenten bei steigender Motorleistung gerecht zu werden. Heute liegen bereits umfangreiche Daten zum Belastungsgeschehen des Antriebsstranges in Form von Kollektiven der Motor- und Radmomente vor. Was aber im Inneren des Getriebes unter Einsatzbedingungen geschieht und gegen welche Belastungen folglich auszulegen ist, entzieht sich weitgehend der Kenntnis.

2. Lösung

Fahrbetriebsmessungen dienen durch die Integration von FE-Berechnungen dazu, die Beanspruchungen im höchst beanspruchten Bereich zu bestimmen, Abbildung 1. Diese Beanspruchungen aus Kurzzeitmessungen können durch Kombination mit Daten zu Einsatzprofilen für die Ableitung von Bemessungskollektiven herangezogen werden. Dabei wird zwischen Komponenten unterschieden, die dynamisch durch das Motormoment belastet werden oder bei jeder Umdrehung ein Schwingspiel erfahren, sowie Komponenten, an denen beide Belastungsarten überlagert auftreten. Für die Vorbemessung solcher kritischen Bereiche werden an Proben ermittelte Schwingfestigkeitsdaten auf die konstruktiven Details umgerechnet und in einer Schädigungsrechnung den abgeleiteten Bemessungskollektiven gegenübergestellt.

3. Fahrbetriebsmessung

Ein Fahrzeug wurde mit Sensoren zur Erfassung nicht nur der Ein- und Ausgangsmomente am Getriebe sondern auch mit Messtechnik auf Synchronisationsnabe und -ring ausgerüstet. Im Rahmen von umfangreichen Kurzzeitmessungen wurden Belastungen und Beanspruchungen im Fahrbetrieb unter wohl definierten Manövern erfasst. Die Analyse der Daten diente einerseits zur Klärung der Beanspruchungsursachen und andererseits zur Ableitung von Bemessungsunterlagen.

Abbildung 1: Integration von Messung und Rechnung an der Schaltnabe eines PkW -Getriebes

In Abbildung 2 sind beispielhaft die Signale der wichtigsten Messgrößen während einer Sequenz Beschleunigung aus dem Stand vom 1. in den 3. Gang mit mittlerer Intensität und anschließenden Belastungswechseln durch intermittierendes Gasgeben gezeigt.

Abbildung 2: Beschleunigen bis zum 3. Gang und anschließende Belastungswechsel

Motor- und Radmomente verlaufen synchron und im Verhältnis des jeweils eingelegten Ganges. Die Drehzahl der Eingangswelle und die Radgeschwindigkeit erlauben die genaue Zuordnung, wann welcher Gang eingelegt war und mit welcher Intensität gefahren wurde. Die Schaltkraft gibt den exakten Schaltzeitpunkt in Verbindung mit der Härte des Schaltvorganges an. Die Dehnungen auf dem Ring und in der Nabe zeigen in ihrem Verlauf eindeutig den Zusammenhang zu den gefahrenen Manövern und Schaltvorgängen.

Die auf der Synchronisationsnabe erfasste Dehnung ist erwartungsgemäß annähernd Null, während der 2. Gang im Eingriff ist. Auffallend ist, dass es nach dem Einkuppeln im 3. Gang zu Dehnungsamplituden mit höherer Frequenz bei nur niederfrequent variierenden Ein- und Ausgangsmomenten kommt. Hoch - bzw. Tiefpass - Filterung zeigt an, dass der niederfrequente Anteil der Dehnung mit dem Ein - und Ausgangsmoment gemäß dem Übersetzungsverhältnis streng korreliert ist. Der höherfrequente Anteil, verläuft mit der Drehzahl der Nabe und hängt in seiner Amplitude vom wirkenden Moment ab. Diese Dehnungsamplituden, pro Nabenumdrehung sind den direkt durch das Moment bewirkten Dehnungen überlagert und sind gerade wegen ihrer hohen Anzahl nicht zu vernachlässigen. Sie resultieren aus Verformungen der im Eingriff befindlichen Zahnräder, der Wellen und dem Getriebegehäuse. Sie sind damit von den jeweiligen Gegebenheiten bzw. Steifigkeitsverhältnissen abhängig und müssen für eine zuverlässige Auslegung bei konsequentem Leichtbau bestimmt werden.

4. Bestimmung maximaler Beanspruchungen

Die Kurzzeitmessungen haben gezeigt, dass Getriebekomponenten durch die im Antriebsstrang wirkenden Momente belastet werden, die sich anhand der Übersetzungsverhältnisse der einzelnen Gänge umrechnen lassen. Zusätzlich können durch auftretende Verformungen im Getriebe Umlaufbiegungen entstehen, die den Grundbeanspruchungen überlagert sind. Die Kurzzeitmessungen dienten dazu, diese Zusammenhänge aufzuzeigen; andererseits sollten aber Finite - Element - Berechnungen verifiziert werden.

Abbildung 3: Beanspruchungsverteilung auf der Synchronisationsnabe unter Last

Für die Messungen war die Synchronisationsnabe des 3. und 4. Ganges konstruktiv verändert worden. Die Verstärker und Telemetrie wurde in gefrästen Taschen installiert. Zur Dehnungsmessung wurde ein Loch über einem der inneren Zähne gebohrt, Abbildung 1. Finite - Elementmodelle wurden aus ca. 65 000 Tet10 - Elementen aufgebaut, in denen diese Veränderungen ebenfalls modelliert wurden, Abbildung 3. Die äußeren Zähne der Nabe wurden vereinfacht abgebildet, Abbildung 4. Die Lasten wurden jedoch wirklichkeitsgetreu wie bei Eingriff des 3. oder 4. Ganges aufgebracht, Abbildung 4. Durch Vergleich der im Betrieb im gebohrten Loch gemessenen Beanspruchungen unter den jeweils wirkenden Momenten in Antriebs - bzw. Verzögerungsrichtung für den Eingriff des 3. und des 4. Ganges wurde die Berechnung verifiziert, Abbildung 5. Wegen der festgestellten überlagerten Biegung wurden dazu die Tiefpass gefilterten Dehnungen auf der Nabe herangezogen. Anschließend wurde die Berechnung mit dem Modell der unbearbeiteten Originalnabe durchgeführt, um die tatsächlich zu erwartenden Beanspruchungen zu bestimmen, die sich allerdings nur unwesentlich von den in Abbildung 3 gezeigten Beanspruchungen unterscheiden.
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Abbildung 4: Lastaufbringung über die vereinfacht modellierten Zähne

Abbildung 5: Vergleich örtlich in Betrieb gemessener und berechneter Dehnung

Die höchsten Beanspruchungen treten in der Ecke der Taschen auf, in denen die Federn und Kugeln für die Betätigung der Synchronisationsringe liegen, Abbildung 6. Im folgenden wurde daher eine Vorbemessung für diesen Bereich vorgenommen. Hierbei wurde eine überlagerte Umlaufbeanspruchung, wie sie im gebohrten Loch nahe dem inneren Zahn gemessen wurde, zugrundegelegt.

Abbildung 6: Maximale Beanspruchung an der Federtasche

5. Ableitung des Bemessungskollektives

Anhand eines Vergleichs der gemessenen Eingangs - und Ausgangsmomente am untersuchten Getriebe mit den Unterlagen aus umfangreichen Messprogrammen, die Basis für die Ableitung der standardisierten Belastungsfolge für Handschaltgetriebe Carlos PTM waren, konnten die Messungen eingeordnet werden und die Normierungsgröße, das Motornenn-Moment bestätigt werden. Die vorhandenen Unterlagen waren daher Basis für die Erstellung eines Bemessungskollektives für das untersuchte Fahrzeug. Die anhand der Kurzzeitmessungen und der Daten aus Carlos PTM für eine Bemessungslebensdauer von 300 000 km abgeleiteten Kollektive des Eingangsmomentes sind für alle Gänge sowie als Teilkollektiv für den 3. und 4. Gang im Diagramm in Abbildung 7 wiedergegeben.

Abbildung 7: Abgeleitete Motormomentenkollektive für 300.000 km

Diese Kollektive der nach Größe und Häufigkeit veränderlichen Antriebsstrangmomente sind für die Auslegung von Komponenten maßgebend, die nur durch die Torsion belastet werden, wie z.B. Wellen ohne zusätzliche Biegebelastung.

Werden Komponenten und Bereiche betrachtet, die pro Umdrehung einmal mit dem momentan wirkenden Moment belastet werden, wie z.B. der Zahnfuß eines Zahnrades, so sind die Kollektive der Umdrehungen auf Lastniveau maßgebend.

An der untersuchten Synchronisationsnabe des 3. und 4. Ganges wurde nun in den Fahrbetriebsmessungen eine Überlagerung der beiden Belastungsarten in den Fahrbetriebsmessungen festgestellt. Zur Ableitung des Bemessungskollektives für die höchst beanspruchte Stelle wurden daher die Kollektive der verschiedenen Zählungen für die aus der Messung ermittelten und mit den FE - Elementmodellen berechneten als linear angenommenen Zusammenhänge abgeleitet.

Abbildung 8: Bemessungskollektiv an der höchstbeanspruchten Stelle der Synchronisationsnabe

Durch die ausgearbeitete Superpositionsmethode ergeben sich die in Abbildung 8 gezeigten Kollektive, die für die Bemessung für einen Einsatz von 300 000 km unter harten europäischen Bedingungen vorgeschlagen werden.

6. Schädigungsrechnung und Bewertung

Nachdem das Kollektiv der örtlichen Spannungen für die höchstbeanspruchte Kerbe des Synchronkörpers abgeleitet worden ist, muss dieses Kollektiv den ertragbaren örtlichen Beanspruchungen für eine Lebensdauerbeurteilung gegenüber gestellt werden, Abbildung 9.

Hierzu ist eine Wöhlerlinie erforderlich, die für den vorliegenden Werkstoff (warmgepresster Sinterstrahl mit der Dichte 7,3 g/cm3) abgeleitet wurde, und den Einfluss der Spannungsgradienten und Spannungsverhältnisse in der Kerbe auf die Schwingfestigkeit beinhaltet. Diese Anforderungen zur Übertragbarkeit wurden durch Verwendung einer unter Wechselbeanspruchung mit außen gekerbten, axial belasteten Flachproben (Kt = 2,5) aufgenommenen Wöhlerlinie erfüllt. Die örtlich ertragbaren Spannungen wurden mit dieser Kerbzahl ermittelt. Anschließend wurde die Bemessungswöhlerlinie mit der Ausfallwahrscheinlichkeit PA = 10-6 abgeleitet, Abbildung 9.

7. Ergebnis

Der Abstand zwischen der Bemessungswöhlerlinie und dem Kollektiv ist so groß, dass eine Schädigungsberechnung für die Lebensdauerabschätzung nicht erforderlich ist, d.h. ein Versagen im Betrieb ist ausgeschlossen. Allerdings erlaubt die vorhandene große Sicherheit den Einsatz von warmgepressten Synchronkörpern für höhere Motorleistungen.

Abbildung 9: Gegenüberstellung örtlicher Beanspruchungen zur örtlich zulässigen Spannung